Zwischen Ordnung und Chaos: Kampfkünste als Strategien gegen Gewaltangst

In diesem Aufsatz wird der These nachgegangen, dass Kampfkünste primär eine Bewältigungsstrategie für die menschliche Angst vor Gewalt darstellen. Angst vor physischer und psychischer Gewalt sowie das Erleben von Chaos stehen im Zentrum dieser Überlegungen. Der Text unterscheidet Kampfsportarten und traditionelle Kampfkünste hinsichtlich ihrer Ziele, Methoden und Philosophien. Besonders betont wird die Fähigkeit der Kampfkünste, Angst durch Struktur, Technik und Selbstkontrolle zu transformieren. Sixt Wetzlers Modell identifiziert fünf Strategien zur Angstbewältigung: mythologische, magische, ästhetische, ritualisierte und narrative. Diese Ansätze verdeutlichen, wie Kampfkünste Gewalt verarbeitbar und beherrschbar machen. Ein Vergleich innerer und militärischer Kampfkünste zeigt konträre emotionale und strategische Grundhaltungen. Cowarts Philosophie der Selbstveränderung ergänzt diese Perspektiven um eine spirituelle, taoistisch geprägte Dimension. Kampfkünste wirken so auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene angstlösend und entwicklungsfördernd. Der Aufsatz schließt mit der Frage, ob diese Funktion ein verbindendes Element aller Kampfkünste darstellt.

Philosophie der Kampfkünste

Autor*in: Albrecht Urs-Vito

DOI: 10.4119/unibi/3003646

Jahr: 2025

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Die Kampfkünste scheinen sich in vielen Aspekten voneinander zu unterscheiden, zumindest geben sich die meisten Stile die größte Mühe, die Unterschiede zu betonen. Die Gründe für die Differenzierung sind vielfältig und rühren von Befindlichkeiten bis zu materiellen Beweggründen. Auch wenn eine Vielzahl von Philosophien in den Lehrarten der Kampfkünste vertreten sind, gibt es doch ein übereinstimmendes Element, das alle praktizierenden Kampfsportler miteinander verbindet. In der theoretischen und praktischen Anwendung diverser Kampfkunststile wird deutlich, dass der kleinste gemeinsame Nenner die Überwindung von Angst zu sein scheint. Die Angst, um die es geht, ist facettenreich. Sie speist sich aus der Angst vor anderen und vor sich selbst, vor dem Chaos in und um uns herum und vor der Unberechenbarkeit des Kampfes und des Lebens selbst. Die Qualität und Quantität der Ängste sind bei jedem Menschen unterschiedlich, und im Laufe der Zeit haben sich verschiedene Ansätze für den Umgang mit Angst herausgebildet, die je nach den gegebenen Umständen (wiederum: sozial, wirtschaftlich, geografisch, politisch) zu unterschiedlichen Philosophien geführt haben. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich auch die Kampfkünste in ihren Ansätzen unterscheiden. In diesem Aufsatz wird der Hypothese nachgegangen, dass Kampfkünste eine Bewältigungsstrategie von Angst sind. Oft wird auf die Arbeiten von Sixt Wetzler Bezug genommen, der das Thema eingehend analysiert hat. Zunächst werden unterschiedliche Formen der Gewalt differenziert und die Natur des Chaos beschrieben, um dann unterschiedliche Überwindungs-/Übungsstrategien von Gewalt darzulegen. Anschließend werden diese Erkenntnisse mit der Philosophie der Kampfkünste nach Cowart diskutiert, um zu ergründen, was die Kampfkünste als Bewältigungsstrategien anzubieten haben.

Furcht vor Gewalt

Das Konzept der Gewalt ist mehrdimensional, und es steht an dieser Stelle nicht genügend Platz für eine detaillierte Analyse zur Verfügung. Der Fokus wird auf die Angst vor physischer und vor psychischer Gewalt gelegt. Wie im Folgenden noch deutlicher werden wird, besteht ein enger Zusammenhang zwischen beiden.

Physische Gewalt

Braun und Herberich definieren Gewalt »als die Handlung, die einem anderen Menschen nicht-einvernehmlich körperliche Schmerzen oder Verletzungen zufügt«. Diese Art von Gewalt führt oft zu beabsichtigten und unbeabsichtigten Verletzungen mit Schmerzen und/oder kurz-, lang- oder dauerhafter Demobilisierung und Behinderungen und manchmal zum Tod. Die gesundheitlichen Folgen können das soziale Leben des Opfers und seines Umfelds durch Einkommensverluste, Behinderungen und hohe Rehabilitationskosten oder soziale Isolation aufgrund von Immobilisierung stark beeinträchtigen. Zusätzlich zu den sozialen Folgen der Gewalt müssen die Betroffenen mit juristischen Konsequenzen rechnen.

Psychische Gewalt

Die Anwendung und das Erfahren physischer Gewalt birgt ernsthafte gesundheitliche Risiken für die Betroffenen. Gewalt kann jedoch neben den offensichtlichen blauen Flecken und Schnittwunden eine Reihe von Problemen verursachen. Die psychologischen Auswirkungen von Gewalterfahrungen sind weitreichend. Die Erfahrungen von Opfern häuslicher Gewalt und Folter, aber auch von Zuschauern des Terrors und Kriegsveteranen zeigen die traumatische Destabilisierung der menschlichen Psyche, die weitaus schwieriger zu behandeln ist. Diese Traumata führen zu sozialer Deprivation und Isolation, Angststörungen, Depressionen, Drogenmissbrauch und auch zu Aggression und Gewalt, mit vielen weiteren Auswirkungen auf den Einzelnen, sein Umfeld und die Gesellschaft. Der Teufelskreis der Gewalt kann sogar noch mehrere Generationen nach dem ersten Ereignis betreffen. Instinktiv vermeiden es Menschen Opfer von Gewalt zu werden, aber sie meiden auch die Anwendung von Gewalt. Dies ist meist auf die Angst vor negativen körperlichen und psychischen Nebenwirkungen zurückzuführen. Selbst geschulten Fachkräften fällt es schwer, Gewalt auszuüben. Laut Collins ist selbst ein grundsätzlich gewalttätiger Mensch nicht »rund um die Uhr« gewalttätig, weil einerseits die oben benannten Risiken fortwährend bestehen und es andererseits aus energetischen Gründen unsinnig wäre. Es müssen mehrere mikrosoziologische Parameter erfüllt sein, um die Schwelle zum gewalttätigen Handeln zu überwinden.

Chaos

Ein wichtiger Aspekt physischer und psychischer Gewalt ist ihr chaotischer Charakter. Laut Molloy und Grossmann ist ein Kampf eine der stressigsten Situationen, vor der Menschen instinktiv zurückschrecken. Sie sind in den meisten Fällen nicht in der Lage, diese zu bewältigen. Collins definiert Gewalt nicht nur als körperlich traumatisch, sondern »auch als chaotisch, unverständlich und unkontrollierbar erlebt«. In einer Gewaltsituation gibt es zu viele (kontroverse) Informationen, die vom Gehirn nicht angemessen verarbeitet und interpretiert werden können. Dies führt zu Angst, Panik und unkontrollierten Handlungen des unfähigen Kämpfers. Wenn der informationelle »Gewalt«-Angriff auf den Verstand schließlich dessen Kapazität übersteigt, kapituliert der Verstand. Wenn auf diese Überforderung nicht die Bewusstlosigkeit folgt, reagiert der Körper instinktiv mit evolutionär programmierten Abwehrmechanismen (Hände schützen den Kopf, Fötusstellung). Die Überforderung nimmt mit zunehmender physischer und psychischer Erschöpfung zu, bis selbst diese Mechanismen versagen und eingestellt werden. Dann lassen Körper und Geist einfach geschehen, was auch immer geschehen wird. Es macht für die menschliche Psyche in jeder (chaotischen) Situation einen großen Unterschied, ob man die Kontrolle über die Situation hat oder nicht. Eine ruhige Geisteshaltung ist der Schlüssel zur Bewältigung unübersichtlicher Situationen, da sie es ermöglicht, die Umstände zu analysieren und (die richtigen) Entscheidungen zu treffen.

Kampfsport ist vielversprechend

Menschen haben Angst, Opfer bestimmter Formen zwischenmenschlicher Gewalt zu werden. Kampfsport spricht das individuelle Bedürfnis nach Überwindung dieser Ängste an. Angst und Chaos treten nicht nur bei Straßenkämpfen, sondern auch im Alltag auf. Ein häufiges Versprechen von Kampfsportangeboten ist, dass der Übende lernt, Gewalt zur Selbstverteidigung einzusetzen. Er soll so in der Hierarchie zwischen Angreifer und Opfer die Oberhand gewinnen. Die Praktizierenden sollen in die Lage versetzt werden, ihre Denkweise zu kontrollieren, und lernen, in einer bedrohlichen Situation angemessen zu reagieren. Sie sollen sogar eine solche Situation frühzeitig erkennen und diese möglichst vermeiden. Ein weiteres Versprechen ist, dass die Übenden unter Druck funktionieren und die Kontrolle darüber haben, die angemessene Dosis und Intensität von Gewalt gegen die Bedrohung anzuwenden. Wetzler listet fünf gängige Kampfsportversprechen als »Antworten auf die Angst des Einzelnen vor Gewalt« auf. Das allumfassende Versprechen ist, die chaotische Natur der Gewalt in eine »verständliche und verarbeitbare Form« zu überführen. Die Ansätze zur Erreichung dieses Ziels können sehr unterschiedlich sein, wie ein Vergleich zwischen zwei diametral entgegengesetzten Stilen zeigt - einer »inneren Kampfkunst» und einer »militärischen Kampfkunst» (eng. »Military Martial Arts«) (Tabelle 1). Die Philosophie der inneren Kampfkünste sieht beispielsweise vor, dass eine ruhige Geisteshaltung mit einem ausgeglichenen emotionalen Status die Anwendung von Gewalt erlaubt, während die Philosophie der militärischen Kampfkünste genau das Gegenteil ist. Eine aggressive Geisteshaltung mit hochkochenden Emotionen erlaubt drastische Aktionen (Übertötung, eng. »overkill«), um den Konflikt zu überleben. Nach Wetzler lernt der Praktizierende beim Üben einer Kampfkunst Gewalt in verständliche Teile zu zerlegen. Das Verständnis dieser Teile und die Entwicklung technischer Antworten reduziert die Angst und lässt das Selbstvertrauen wachsen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass »Kampfsportarten eine Antwort auf die Angst des Einzelnen vor Gewalt und seine Unfähigkeit, damit umzugehen, versprechen«.

Tabelle 1

AspektInnere KampfkunstMilitärische Kampfkunst
Mindsetruhigaggressiv
Beherrschungtechnische Perfektion durch WiederholungBewährte Kampfmethoden auf Basis natürlicher Reflexe
Emotionenausbalanciertaggressiv
SchadenkontrolliertÜbertötung (Overkill)
Gewaltästhetisiertquasi-wissenschaftlich begründet

Bewältigung von Gewalt

Auch wenn die Kampfstile in Bezug auf Ästhetik, Effizienz, Performance und Rituale sehr unterschiedlich sind, so haben sie doch alle den gemeinsamen Nenner, dem Individuum beizubringen, wie es die Angst vor Gewalt überwindet. Für Wetzler erfüllen Kampfkünste »die Funktion einer Bewältigungsstrategie für das psychologische Problem der Gewalt.« In seinem Artikel »Kampfsport als Bewältigungsstrategie für Gewalt« identifiziert und beschreibt Wetzler einige dieser Bewältigungsstrategien im Kampfsport. Er unterscheidet zwischen »mythologischen«, »magischen«, »ästhetisierenden«, »ritualisierenden« und »narrativen« Strategien. Jede dieser Strategien verfolgt einen anderen Ansatz, der in den folgenden Abschnitten erläutert wird (siehe Tabelle 2) am Ende des Abschnitts.

Die mythologische Strategie

Die »mythologische Strategie« erklärt die angewandten Techniken und Trainingsmethoden der Kampfkunst durch mythologische Überlegungen. Kampfkünste wie verschiedene Kung-Fu-Stile, darunter Wing Chun, bedienen sich dieser Strategie und erzählen meist die Geschichte einer jahrhundertealten Linie, die von einem alten, aber großartigen Menschen gegründet wurde, der sich in einer benachteiligten Position gegenüber seinen Unterdrückern befand. Diese Person überwand den Feind, indem sie den speziellen Stil begründete und die erfundenen Techniken anwandte, die zumeist von Beobachtungen aus der Natur inspiriert waren, und sie waren trotz aller Widrigkeiten erfolgreich. Laut Wetzler bestätigt dieses Narrativ seine Technikenausübenden darin, dass das, was sie tun, »wahr« und »richtig und verlässlich« ist. Zudem stärkt die Identifikation mit dem System (und seinem Begründer) das Vertrauen, dass die Praktizierenden der jeweiligen Kunst in einer Gewaltsituation nicht hilflos sind.

Die magische Strategie

Eine Variante der Strategie zur Bewältigung von gefährlichen, chaotischen und gewalttätigen Situationen besteht darin, die Praktizierenden glauben zu lassen, dass ihnen magische Kräfte zu Hilfe kommen und dass sie mit dieser übernatürlichen Unterstützung widrige Situationen meistern können. Diese »magische Strategie« ist eine gängige kulturelle Praxis und Teil vieler Kampftraditionen, um der psychologischen Bedrohung durch Gewalt zu begegnen. Die Praktiken der »Kampfmagie« reichen von Waffen, die auf bestimmte Weise rituell präpariert wurden (Inschriften, Zaubersprüche) bis hin zu magischen Techniken, die Unverwundbarkeit verleihen sollen. Ein Beispiel ist die »Eisenhemd«-Technik in chinesischen Kampfkunststilen. Im historischen Kontext wurde das »magische« Narrativ von den »Geisterboxern« um 1900 in Anspruch genommen, die behaupteten, dass sie »göttliche Wesen herbeirufen konnten, um sie vor Schaden zu bewahren und ihnen bei der Ausführung übermenschlicher Leistungen zu helfen«.

Die Strategie der Ästhetisierung

Einige Kampfkunststile nutzen die Ästhetisierung als Methode zur Bewältigung von Gewalt. Diese Strategie bricht die chaotische Natur der Gewalt in ein umfassendes Format (sowohl in Bezug auf Zeit als auch auf Raum) herunter. Wetzler nennt diese Methode »Grammatiken des Kampfes« und verweist auf Katas im Karate als ein Beispiel für diesen Übersetzungsprozess. Der Grad der Annäherung an das perfekte individuelle Verständnis der ästhetischen Sprache bestätigt die Teilnehmenden, »dass eine bestimmte Technik sie vor Schaden bewahrt«. Meines Erachtens kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu, da eine Verbesserung der Ästhetik nur durch intensives Training erreicht werden kann und somit eine hervorragende ästhetische Leistung als Surrogatindikator für die Kampfbereitschaft interpretiert wird. Meister (und Mitübende) beurteilen die Leistung aus Gründen der Qualitätskontrolle und als Feedback-Instrument, um den Übenden in seinem Fortschritt zu bestärken.

Die Ritualisierungsstrategie

Die Ritualisierung ist eine weitere effektive Strategie zur Bewältigung der kollektiven Angst vor Gewalt. Mit dem Wissen, dass Aggression und Gewalt nicht gänzlich aus der Gesellschaft zu verbannen sind, werden Regeln aufgestellt und angewendet, um Gewalt unter definierten Bedingungen zuzulassen und zu kontrollieren. Kampfsportarten (Boxen, Mixed Martial Arts (MMA)) sind passende Beispiele für diese Strategie. Hier findet die Gewalt an einem begrenzten Ort statt, der symbolisch mit Seilen (Boxen) oder einem Käfig (MMA) gekennzeichnet ist. Das Ausmaß der (gebilligten) Gewalt und die damit verbundenen Schadensrisiken werden durch Regeln reguliert, die in jedem Fall eingehalten werden müssen. Ein Kampfrichter wird eingesetzt, um Entscheidungen zu treffen und den Sieger des Konflikts zu verkünden. Die Dauer des Kampfes ist auf die in den Regeln festgelegte Zeitspanne begrenzt und wird genauestens gemessen. Die Kontrolle dieser Variablen macht die Gewalt in gewisser Weise kontrollierbar und so auch für die Unterhaltung nutzbar. Was freilich eher für die Zuschauer gilt und nicht unbedingt für die Kämpfer selbst. Mit der beschriebenen Strategie wird es möglich, sich einen Charakterwandel der Gewalt vorzustellen, die von der Bedrohung zur Unterhaltung werden kann.

Die erzählerische Strategie

Die »narrative« Strategie tritt an, um »Gewalt in etwas Sinnvolles zu übersetzen«. In diesem Konzept ist Gewalt gerechtfertigt, wenn sie zum Wohl des Einzelnen oder der Gemeinschaft (gute Gewalt), die vom Bösen (böse Gewalt) bedroht sind, und zur Wiederherstellung von Frieden und Gerechtigkeit eingesetzt wird. Das Versprechen der Kampfkünste besteht hier darin, dass die Praktizierenden aufgrund von hartem Training und erlernten Fähigkeiten in Situationen wie den oben beschriebenen erfolgreich sein werden.

Anwendung des Gelernten

In diesem Kapitel beziehe ich mich auf einen Artikel von J. Kingston Cowart zur »Philosophy and Psychology of the Martial Arts«. Der Inhalt wird reflektiert und es werden Koordinaten festgelegt, in die Cowarts Abhandlung im Kontext der oben genannten Bewältigungsstrategien von Gewalt eingeordnet werden können.

»Philosophie und Psychologie der Kampfkünste«

Cowarts Dokument ist eine wertvolle Quelle und Einführung in das psychologische, philosophische und spirituelle Denken in den Kampfkünsten. Der Autor entwickelte ein Seminar, um »die Art und Weise zu erforschen, in der die physischen Bewegungen der Kampfkünste tiefgreifende philosophische und spirituelle Prinzipien verkörpern«. Cowart führt den Leser in die grundlegenden philosophischen Konzepte ein, konzentriert sich aber bald auf die Werke von Laotzi und Konfuzius. Später wendet er neu entwickelte psychologische, pathopsychologische und neurobiologische Konzepte an, um aggressives und defensives Verhalten sowie die Rolle der geistigen Einstellung zu erklären. Cowart betont immer wieder die Auswirkung auf die Veränderung des Sozialverhaltens beim Üben der Kampfkünste. Er spricht mehrere spirituelle Aspekte an, die dieses Ziel unterstützen.

Tabelle 2

StrategieBewältigungsmechanismusBeispiel(e)
Mythologische StrategieIdentifikation mit System & Begründer stärkt Vertrauen in GewaltsituationenWing Chun, Kung Fu
Magische StrategieÜbernatürliche Unterstützung zur Bewältigung der SituationBoxeraufstand, „no-touch“ Meister
ÄsthetisierungsstrategieZerlegt chaotische Gewalt in verständliches (zeitlich & räumlich geordnetes) FormatKarate, Taekwondo
RitualisierungsstrategieGewalt wird durch Regeln in definiertem Rahmen kontrolliert und zugelassenBoxen, MMA, Muay Thai
Narrative StrategieGewalt wird in etwas Sinnvolles/Positives transformiertJudo, Kyudo

Nicht alle Kampfkünste

Cowart verwendet in seinem Text nicht ein einziges Mal die Worte »Angst« oder »Bewältigung« im Zusammenhang mit Kampfsportarten. Aber er spricht sicherlich die allgemeinen Versprechen der Kampfkünste an. Benannt werden insbesondere diejenigen, die sich auf die narrative Strategie beziehen, wie Gewalt in etwas Sinnvolles und Positives verwandelt wird. Das Versprechen der Selbstveränderung durch das Verstehen und Befolgen des Philosophischen, Psychologischen und Spirituellen sind ein wiederkehrendes Thema in Cowarts Text. Er spiegelt deutlich den Unterton des taoistischen Denkens wider und moduliert psychologische Ideen in angemessener Weise. Wenn Cowarts Text mit diesem Gedanken im Hinterkopf interpretiert wird, wird deutlich, dass der Begriff »Kampfkünste«, solche Kampfkünste ausschließt, die nicht dieser Philosophie der Harmonie und Einheitlichkeit folgen. Militärische Kampfkunst ist zum Beispiel von dieser Terminologie ausgeschlossen. Sie ist mit einem utilitaristischen Denken verbunden, bei dem der Zweck die Mittel heiligt. Cowarts Konzept passt nicht zu diesem Zweck, kann aber auf Kampfsportarten angewendet werden.

Cowarts Angebote

Cowart bietet ein ganzheitliches Konzept an, das eine Selbstveränderung auf der Grundlage der narrativen Strategie vorsieht. Bei der Analyse seiner Abhandlung wird deutlich, dass er das menschliche Selbst mit seinen Fehlern als Kernproblem für Gewalt anspricht. Er bezeichnet sie als die »dunkleren Aspekte« wie »Unehrlichkeit, Geiz, Gier, Manipulation, Betrug, Stolz, Eifersucht «. Er sieht in der Selbstveränderung eine Lösung und favorisiert die Kampfkünste als adäquates Mittel, um das Ziel einer gut funktionierenden Gesellschaft zu erreichen. Cowarts ausführliche Beschreibung der Pathopsychologie und pathologischer Persönlichkeiten kann als Kritik an der Makrogesellschaft (auf der Straße) und der Mikrogesellschaft (in den Trainingshallen) interpretiert werden. Wenn Leser darüber nachdenken, werden sie mit Sicherheit »dunklere Seiten« seines Charakters entdecken, denn niemand wird immer perfekt sein. Vielleicht führt diese Einschicht dazu, Angst vor sich selbst zu haben, und – um nicht böse zu werden – die Absicht, sich zu verbessern. Das Selbst, der Wille und die Veränderung des Selbst durch den Willen stehen im Mittelpunkt und wurden von Cowarts Ansatz angesprochen. Cowart zitiert Easwaren: »Ein Mensch ist, was sein tiefes Verlangen ist«. Die erste Implikation ist, dass der »Wille die Materie überwindet« und den Menschen definiert, und zweitens, dass der Mensch »nach einem wohlgeordneten Willen strebt«. Cowart stellt fest, dass »… der Mensch von Natur aus zu aggressivem Verhalten fähig ist, ihm aber bestimmte Gewaltmuster beigebracht werden müssen«. Er betont, dass diese Muster durch das Üben von Kampfsportarten erlernt und verändert werden können. Das Gleiche gilt für die Selbstachtung und die Selbstdarstellung, die verändert und verbessert werden können, was zu Achtung und Respekt vor anderen führt. Cowart ist der Überzeugung, dass »… die asiatischen Kampfkünste einen ausgezeichneten Weg zur Selbstverteidigung bieten …« und er betont mehrfach, dass Veränderungen des eigenen Selbst durch das Üben der Kunst initiiert, aufgebaut und angeleitet werden können. Wenn man dem Weg (der Philosophie) folgt, wird es für den Praktizierenden selbstverständlich, »das Richtige zu tun, auf die richtige Art und Weise, zur richtigen Zeit, aus dem richtigen Grund«. Dieser Ansatz bietet eine klare Übereinstimmung mit einer friedlichen und humanen Denkweise in Kampfsituationen, da asiatische Kampfkünste »es ermöglichen, in einen physischen Konflikt mit einer Haltung des Friedens und der humanen Sorge für alle Beteiligten einzutreten«. Darüber hinaus »… kann selbst im tödlichen Kampf Harmonie und Mitgefühl herrschen, eine gegenseitige Verbundenheit, die auf der inhärent humanen Liebe beruht …« . Die diametralen Positionen von Krieg und Frieden werden künstlerisch miteinander verbunden und durch die Philosophie des »allumfassenden, ultimativen Einsseins« motiviert. Dies wird nur noch durch das »starke philosophische Argument« (sic!) getoppt, dass »jeder die moralische Verpflichtung hat, kämpfen zu lernen, um sich selbst oder andere zu schützen und dadurch zu einer gerechten und sicheren Gesellschaft beizutragen«.

Fazit

Cowart bietet eindeutig eine Bewältigungsstrategie für die Angst vor Gewalt an, indem er eine Selbstveränderung einleitet und die narrative Strategie in Verbindung mit hauptsächlich taoistischer Philosophie zur Untermauerung seiner Argumentation einsetzt. Dies ist nur eine von vielen Möglichkeiten des Kampfkunstansatzes, die dem Menschen innewohnende Angst vor Gewalt zu überwinden. Für zukünftige Arbeiten wäre es interessant, andere Kampfkünste im Detail zu analysieren und zu überprüfen, ob es wirklich die Bewältigungsstrategie zur Überwindung der Angst vor Gewalt und zur »Kontrolle des Unkontrollierbaren« ist, die sie alle verbindet.

Quellen

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