Taktischer Sieg, strategische Niederlage: über die Kunst des Krieges in Vietnam
In diesem Aufsatz wird Sun Tzus "Die Kunst des Krieges" als strategisches Leitwerk im Kontext des Vietnamkriegs analysiert. Es wird dargelegt, wie zentrale Prinzipien wie Politik, Täuschung, Wissen und Terrain auch in modernen Konflikten wirksam sind. Die Strategie des Vietcong orientierte sich unbewusst stark an Sun Tzus Lehren, etwa durch Guerillataktiken und psychologische Kriegsführung. Im Gegensatz dazu verpassten es die USA, politische Rückendeckung und strategische Kohärenz zu gewährleisten. Der Aufsatz erklärt, warum technologische Überlegenheit allein nicht zum Sieg führt, wenn moralische und politische Grundlagen fehlen. Sun Tzus Betonung von Führung, situativer Anpassung und Zielklarheit bildet den theoretischen Rahmen der Analyse. Auch werden Parallelen zur Kritik von Clausewitz-Interpreten wie Harry Summers gezogen. Der Aufsatz liefert damit einen interkulturellen und philosophisch fundierten Beitrag zur Militärstrategie. Abschließend wird aufgezeigt, dass der strategische Sieg des Vietcong weniger auf militärischer, als vielmehr auf ideologischer und psychologischer Ebene errungen wurde.
Der Klassiker »Die Kunst des Krieges« des chinesischen Kriegsstrategen Sun Tzu ist auch heute noch populär und wird oft im Zusammenhang mit geplanten taktischen Operationen jedweder Art zitiert. Auch im Kontext der Kampfkunst wird in der Wettkampfvorbereitung regelmäßig auf die Lehren Sun Tzus verwiesen, um die Athleten in der Kampfstrategie und Taktik zu schulen. Ein tieferes Verständnis von Sun Tzu ist sehr hilfreich, um die Vermittlung von Strategie und Taktik reich und anschaulich zu gestalten. Bei der Suche nach einem Beispiel für die Anwendung von »Die Kunst des Krieges« im Kontext eines militärischen Konflikts bietet sich der 2. Indochinakrieg (»Vietnamkrieg«) an. Dort trafen ostasiatische und westliche Philosophien unmittelbar aufeinander. Die körperliche Auseinandersetzung von Kampfkünstlern kann als Metapher für den Kriegsschauplatz gesehen werden: Das Narrativ der Kampfkunst beschreibt die Überlegenheit eines körperlich unterlegenen Praktikers gegenüber stärkeren Aggressoren. Die Kampfstrategie und entsprechende Taktiken schaffen einen Chancenausgleich, wenn nicht sogar einen Vorteil für den Wissenden. Parallelen zeigen sich im Vietnamkrieg, in dem sich das vietnamesische Volk gegenüber einer besser ausgerüsteten und willensstarken französisch-amerikanischen Streitkraft durchsetzte. Vielleicht war es die nationalistische Idee und der Wunsch des vietnamesischen Volks nach Einheit, was die strategische Überlegenheit ausmachte. Laut Sun Tzu wäre das plausibel. Auf den nächsten Seiten wird analysiert, inwiefern der jahrhundertealte chinesische Klassiker die Kriegsstrategie des nordvietnamesischen Militärführers General Giap1 im Rahmen des 2. Indochinakriegs beeinflusst haben könnte. Ferner wird beleuchtet, ob und wie die militärischen Aktionen der franko-amerikanischen Truppen in Zusammenhang mit Sun Tzus Lehren zu interpretieren sind. Von Interesse ist, welche Strategien auf dem Schlachtfeld angewendet wurden und ob diese Taktiken einen günstigen Einfluss auf das Ergebnis2 hatten. Der erste Abschnitt führt zu Sun Tzu und seiner Abhandlung »Die Kunst des Krieges» ein3. Im zweiten Abschnitt werden die Schlüsselkonzepte des Werks von Sun Tzu interpretiert. Im dritten Kapitel wird der Hintergrund des Vietnamkonflikts beschrieben. Im vierten Abschnitt wird die US-Strategie des Vietnamkriegs im Zusammenhang mit Sun Tzus Lehren erörtert und auch der Hintergrund der kritischen Analyse von Harry G. Summers in Anlehnung an das strategische Denken von Clausewitz analysiert.
Sun Tzu und »Die Kunst des Krieges«
Sun Tzu
Es wird allgemein angenommen, dass der berühmte chinesische Schriftsteller, Philosoph und Krieger Sun Tzu im sechsten und fünften Jahrhundert v. Chr. als General im Königreich Wu diente. Diese Zeit war eine sehr chaotische Periode der chinesischen Geschichte, in der ständige Fehden zwischen verfeindeten Königreichen üblich waren. Aufgrund des Mangels an Beweisen wird Sun Tzus Existenz jedoch von einigen Historikern angezweifelt, und es wurde erwähnt, dass er möglicherweise nie existiert hat und in Wirklichkeit eine Erfindung der Philosophen der Periode der streitenden Staaten (453-221 v. Chr.) war. Dennoch wird er als Verfasser von »Die Kunst des Krieges«, einer berühmten Abhandlung über militärische Strategie, auch heute noch hochgeschätzt. Obwohl er unter verschiedenen Namen bekannt ist, z. B. Sun Zi, Sun Wu oder Sun Bin4, ist Sun Tzu der Name, unter dem er im Westen am besten bekannt ist.
“Die Kunst des Krieges”
“Die Kunst des Krieges” von Sun Tzu wird oft als eines der frühesten und wichtigsten Werke über (militärische) Strategie angesehen. Es hat nie seine Anziehungskraft auf Strategen verloren, seien es Zivilisten, z. B. Unternehmensmanager oder Rechtsanwälte, oder Angehörige des Militärs. In seinen 13 Kapiteln und 68 Thesen beschreibt das Buch vielfältige Aspekte der Kriegsvorbereitung und der Kriegsführung selbst sowie Rahmenbedingungen, die es zu berücksichtigen gilt. Dieser Aufsatz stützt sich hauptsächlich auf die moderne Übersetzung von Clements als Referenz. In den folgenden Abschnitten wird jedes Kapitel des Buches in einer kurzen Zusammenfassung beschrieben.
Kapitel 1: »Planung«.
In diesem Kapitel wird der Leser mit fünf wichtigen Faktoren vertraut gemacht, auf die Sun Tzu im Laufe des Buchs immer wieder Bezug nimmt: Führung, Wetter, Gelände, Politik und Ausbildung. Die Informationen zu diesen Faktoren helfen bei der Vorbereitung auf einen bevorstehenden Konflikt. Das Abwägen der verfügbaren Informationen über sich selbst und im Vergleich zum Feind kann erfolgreichen Anführern dabei helfen festzustellen, ob sie sich im Vergleich zu ihrem Gegner in einer Position der Stärke oder der Schwäche befinden. Im ersten Kapitel wird auch ein weiteres wichtiges Konzept vorgestellt, auf das in »Die Kunst des Krieges« immer wieder Bezug genommen wird. Hierbei handelt es sich um den Einsatz von Täuschung, der in engem Zusammenhang mit den fünf vorgenannten Faktoren steht. Sun Tzu rät dazu, den Gegner so genau wie möglich einzuschätzen, um eine valide Beurteilung der Gesamtsituation treffen zu können. Gleichzeitig ist es von größter Wichtigkeit, alles zu tun, um zu verhindern, dass der Gegner eine ähnlich genaue Einschätzung vornehmen kann. Täuschung ist hier das Mittel der Wahl.
Kapitel zwei: »In den Krieg ziehen«
legt den Grundstein für das Verständnis der Ökonomie der Kriegsführung und betont, dass für den Erfolg entschlossenes und schnelles Handeln unerlässlich ist, da langwierige Operationen die Ressourcen erschöpfen und zu viel Energie verbrauchen; ein schneller Sieg ist wichtiger als Ausdauer. In diesem Abschnitt wird auch darauf hingewiesen, dass wirksame Kampfeinsätze eine Kontrolle ihrer Kosten erfordern.
Drittes Kapitel: »Angriffsstrategie»
stellt fest, dass Einheit und nicht Größe die Stärke definiert. Das Kapitel, das auch unter dem Titel »Das ummantelte Schwert« bekannt ist, stellt eine der zentralen Ideen von Sun Tzu vor und verdeutlicht, dass nur derjenige, der die Kriegskunst beherrscht, auch ohne Kampf den Sieg erringen kann. Immer zu kämpfen – auch wenn man siegreich ist –, sollte nicht als Exzellenz angesehen werden; die Kunst besteht vielmehr darin, den Widerstand des Gegners zu brechen, ohne zu kämpfen. In diesem Kapitel werden auch Faktoren vorgestellt, die besonders wichtig sind, um den gewünschten militärischen Erfolg zu erreichen. Mit abnehmender Bedeutung werden diese Faktoren als Angriff, Strategie, Allianzen, Armee und Städte definiert.
Viertes Kapitel: »Disposition».
»Unbesiegbar« zu sein, hängt von der eigenen Taktik und dem eigenen Handeln ab. Die Schwachstellen des Gegners liegen jedoch nicht in der eigenen Hand. So kann es sein, dass ein potenzieller Weg zum Sieg zwar erkennbar ist, es aber unmöglich ist, die notwendigen Bedingungen für diesen Sieg zu schaffen. Es wird betont, wie wichtig es ist, nicht voreilig zu handeln, sondern bestehende Positionen so lange zu halten, bis eine Führungskraft die Möglichkeit hat, von diesen Positionen aus innerhalb einer Sicherheitsmarge weiter vorzurücken. Das Kapitel lehrt Führungspersönlichkeiten, wie wichtig es ist, strategische Chancen zu erkennen und zu nutzen, ohne dabei unbeabsichtigt strategische Schwachstellen zu schaffen, die der Feind ausnutzen kann. Das Messen, Schätzen, Analysieren und Vergleichen von Information kann zum Sieg führen, da sich so im Voraus abschätzen lässt, wer die größten Chancen hat, als Sieger aus der Schlacht hervorzugehen.
Kapitel fünf: »Momentum«
erläutert, wie Kreativität und Timing wesentlich dazu beitragen können, dass eine Armee dynamisch und entschlossen handelt und damit den Sieg erringt. In der Schlacht führt direktes Handeln zur Konfrontation, aber kreative Überraschungselemente können zum Sieg führen. Es gibt zwar nur zwei Hauptangriffsarten, orthodoxe (konventionelle) und unorthodoxe (unkonventionelle), wobei letztere den Gegner überraschen. Allerdings bestehen zahllose Möglichkeiten, die beiden Arten zu kombinieren. Vieles ist von dem Vermögen abhängig, sich fließend an veränderte Umstände anzupassen und diese zu seinem Vorteil zu nutzen.
In Kapitel sechs: »Schwächen und die Stärken«
wird erörtert, wie Chancen, die sich aus bestimmten Bedingungen in der Umgebung in Verbindung mit den Schwächen des Gegners ergeben, die eigene Situation verbessern können. Ferner wird dargelegt, wie Anpassungen an das sich ständig verändernde Schlachtfeld vorgenommen werden sollten. Grundsätzlich ist es besser, als Erster auf dem Feld anzukommen und ausgeruht zu sein. Es ist nachteilig als Zweiter anzukommen und möglicherweise erschöpft zu sein. Der Feind sollte dazu gebracht werden, auf die eigene Position zuzukommen, am besten ahnungslos darüber, dass ihn eine Konfrontation erwartet.
Kapitel sieben: »Einsatz«
veranschaulicht die Gefahren des direkten Kampfes und die Durchsetzung im Kampf, insbesondere wenn er aufgezwungen wird. Wird sich Setzt man sich zum Beispiel nach dem Gegner in Bewegung und kommt dennoch vor ihm an, wird die Strategie beherrscht, Distanz in Nähe umzuwandeln und so seine Position zu stärken.
Kapitel acht: »Variablen«
untersucht die Notwendigkeit von Flexibilität in den Reaktionsmustern einer Armee. Es werden Methoden zur effektiven Anpassung der eigenen Reaktionen an sich ändernde Bedingungen skizziert, z. B. wie sich das Gelände zunutze gemacht wird und die eigenen Kräfte entsprechend einsetzt werden sollen. Ist das Terrain bekannt, fehlen aber die Fähigkeiten zur entsprechenden Anpassung der Taktik, können die dargebotenen Möglichkeiten, die das Terrain bietet, nicht genutzt werden. Die »Kunst des Krieges« besteht darin, nicht darauf zu hoffen, dass der Feind nicht den Mut zur Konfrontation hat, sondern darauf zu vertrauen, dass man in der Lage ist, seine Aktionen zu kontern. Die eigenen Fähigkeiten dürfen jedoch nicht überschätzt werden, worauf unbedingt zu achten ist. In diesem Zusammenhang können fünf gefährliche Eigenschaften zum Scheitern von Führungskräften führen: Leichtsinn (der zu schweren Verletzungen oder zum Tod führen kann), Feigheit, ein übermäßiges Ehrgefühl (das zu unangemessener Scham führen kann, die ein angemessenes Handeln verhindert) und die Unfähigkeit, einen kühlen Kopf zu bewahren (was möglicherweise zu unüberlegten Handlungen führt). Nicht zuletzt kann eine übermäßige Sorge um die Menschen, die man befehligt, schädlich sein und letztlich sogar noch mehr Leid verursachen, als ein ursprünglich kleineres Opfer verursacht hätte.
Neuntes Kapitel: »Auf dem Marsch«
befasst sich mit den verschiedenen Situationen, mit denen eine Armee beim Durchqueren feindlichen Territoriums konfrontiert werden kann, und mit der Frage, wie mit diesen Situationen umgegangen wird. Ein großer Teil dieses Abschnitts ist der Bewertung der Bestrebungen anderer gewidmet, und es wird betont, seine Gegner nicht zu unterschätzen.
Kapitel zehn: »Terrain«
untersucht die drei allgemeinen Bereiche, die den Widerstand definieren, und zwar die Entfernung, die Gefahr und die Barrieren sowie die sich daraus ergebenden sechs Arten von Feldpositionen (zugängliches Terrain, gefährdetes Terrain, eingeebnetes Terrain, begrenztes Terrain, hoch gelegenes Terrain und vom Feind entferntes Terrain). Jede dieser sechs Arten von Feldstellungen weist ihre eigenen Vor- und Nachteile auf.
Kapitel elf: »Neun Situationen«
beschreibt die neun häufigen Situationen (oder Phasen) in einem Feldzug, die von der Streuungssphase bis zur tödlichen Phase reichen, und den besonderen Fokus, den ein Kommandeur benötigt, um sie zufriedenstellend zu bewältigen.
Kapitel zwölf: »Angriff mit Feuer»
veranschaulicht, wie Waffen im Allgemeinen gehandhabt werden sollten, und geht speziell darauf ein, wie die eigene Umgebung in eine Waffe verwandelt werden kann. Der Abschnitt beschreibt fünf Arten von Zielen, fünf Arten von Angriffen, bei denen die Umgebung genutzt wird, und wie man am besten auf solche Angriffe reagiert, wenn man mit ihnen konfrontiert wird.
Dreizehntes Kapitel: »Spionage«
unterstreicht die Bedeutung der Einrichtung qualitativ hochwertiger nachrichtendienstlicher Quellen. Es werden fünf Arten von Informationsquellen beschrieben (einheimische Spione, eingebettete Spione, Doppelspione, Blindgänger und lebende Spione). In dem Kapitel geht Sun Tzu darauf ein, wie diese so effektiv wie möglich verwaltet werden können. Im Mittelpunkt des Kapitels steht die Tatsache, dass Wissen im Zusammenhang mit dem, was bereits über einen Feind bekannt ist, erworben und bewertet werden muss. Wissen kann nicht allein auf der Grundlage von Berechnungen, Analogien zu anderen Situationen, Vorahnungen oder Vorurteilen abgeleitet werden.
Schlüsselkonzepte der strategischen Lehren von Sun Tzu
Führung
Sun Tzu legt seinen Lesern fünf relevante Faktoren nahe, die bei der Planung eines Kriegs zu berücksichtigen sind. Die siegreiche Partei einer Schlacht kann im Vorhinein dadurch ermittelt werden, wer das höhere Niveau in der Führung, beim Wetter und Terrain, in der Politik und Ausbildung hat. Ferner führt er aus, dass die Truppen bei jeder Aktion verstehen, dass der Anführer das Kommando hat. Falls nötig, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um dies zu verdeutlichen. Erfolgreiche Führung korreliert mit dem Grad an »Weisheit, Vertrauen, Mitgefühl, Mut und Strenge« der Führungsperson. Die Führung kann durch negative Eigenschaften einer Führungskraft wie »Rücksichtslosigkeit, Wankelmütigkeit, Furchtsamkeit, Eitelkeit und Herzensgüte« zunichte gemacht werden. Sun Tzu spricht sechs Bedrohungen an, die die Truppen potenziell destabilisieren können, wenn ein Anführer diese Probleme nicht erkennt und nicht angemessen darauf reagiert. Fahnenflucht, Insubordination, Subversion, Unordnung, Chaos und Flucht (im Sinne eines ungeordneten Rückzugs der Truppen) sind keine natürlichen Vorkommnisse, sondern Symptome für Unwissenheit seitens der Anführer. Schwache Führung lässt ein Ungleichgewicht innerhalb der Truppe zu und bietet einen Nährboden für Disziplinlosigkeit, Wut sowie unfaires und respektloses Verhalten.
Innere und äußere Faktoren
Erfolgreiche Führung hängt von inneren (kontrollierbaren) Faktoren und von äußeren (nicht kontrollierbaren) Faktoren ab. Innere Faktoren haben Einfluss auf die Kampfmoral der Truppe, den politischen Willen der Bevölkerung und die Ausbildung der Armee. Letztere korreliert mit dem Organisationsgrad der Streitkräfte, der wiederum Einfluss auf Ausgaben, Versorgung und Manöver hat. Bei den äußeren Faktoren wird zwischen veränderlichen Faktoren (»Wetter«), wie dem Klima oder der Wirtschaft, und stabilen oder starreren Faktoren (»Terrain«), wie der Infrastruktur und den Gesetzen, unterschieden. Die fünf Faktoren zu überprüfen, sie zum eigenen Vorteil zu steuern und sie je nach den Umständen anzupassen, zu übernehmen oder zu verändern, ist der Schlüssel zum Sieg und daher von größter Bedeutung. Die folgenden Kapitel des Buchs beziehen sich auf diese Faktoren und wie man sie zum eigenen Vorteil nutzen kann. Sun Tzu unterstreicht die Bedeutung der fünf Faktoren, indem er sieben operationalisierte Fragen stellt, um eine Selbsteinschätzung zu ermöglichen. Diese Fragen helfen dabei, die fähigste Führungspersönlichkeit zu ermitteln und festzustellen, welche Führungspersönlichkeit die inneren Faktoren am besten unter Kontrolle hat bzw. für wen die äußeren Faktoren am günstigsten sind. Sobald die Schwächen des Gegners erkannt sind, sollte der Angriff dort ansetzen, wo der Feind ihn am wenigsten erwartet. Um jedoch den Erfolg nicht zu gefährden, müssen alle Informationen, die der Feind für die Beantwortung dieser Fragen benötigt, verborgen bleiben (das wird im folgenden Abschnitt ausführlicher beschrieben). Außerdem sollte der Feind durch Täuschung manipuliert werden: Wenn der Feind mit ungenauer oder irreführender Information versorgt wird, können bei ihm falsche Annahmen entstehen, die ihm wiederum eine viel schwächere Grundlage für die Planung seiner Aktionen geben.
Wissen
Die Kenntnis der eigenen Umgebung liefert auch das für die Planung notwendige Wissen. Sun Tzu analysiert und beschreibt mehrere Ereignisse und Handlungen, die dem Leser helfen, Handlungen und Absichten sowohl der eigenen Truppen als auch der gegnerischen zu verstehen. Mit diesem Wissen kann ein Anführer schon in einem frühen Stadium Gegenmaßnahmen einleiten, um Schwächen in der eigenen Armee zu verhindern oder die andere Armee zu manipulieren, um eine Dynamik zu provozieren. Sun Tzu hält Spionage und Spione für sehr wichtig, um Wissen über den Feind zu erlangen. Spione liefern sehr begehrte Informationen für die Kriegsvorbereitung, wobei Ihr Einsatz viele Ressourcen verschlingt. Sun Tzu stellt fünf Arten von Spionen vor, die für unterschiedliche Aufgaben eingesetzt werden können: einheimische Spione, die mit den örtlichen Gegebenheiten und Einstellungen vertraut sind; eingebettete Spione, die Informationen aus dem administrativen Kern des Feindes liefern; Doppelagenten, denen der Feind einst vertraute, die aber nicht mehr für ihn arbeiten; Blindgänger, die den Feind mit ungenauen Informationen versorgen; und schließlich lebende Spione, die Informationen direkt aus den Lagern des Feindes liefern.
Bewusstsein für finanzielle Aspekte
Sun Tzu weist den Leser auf die Notwendigkeit hin, die materiellen und immateriellen Kosten und die für die Kriegsführung erforderlichen Ressourcen zu berücksichtigen, da diese starke Begrenzungsfaktoren des Kriegs darstellen. Die Kosten steigen proportional mit der Entfernung, die die Truppen zurücklegen müssen, was vor allem auf logistische Gründe und Versorgungsprobleme zurückzuführen ist. Die Entsendung von Truppen für lange Einsätze hat auch negative Auswirkungen auf die Ausrüstung, die Physiologie und Gesundheit der Truppen sowie auf ihre Moral, die ebenfalls als wichtiger Teil der Ressourcen verstanden werden sollte. Kriegszeiten sollten so kurz wie möglich gehalten werden, da langwierige Konflikte dem Staat bekanntermaßen nicht zugutekommen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten die Ressourcen so eingesetzt werden, dass die Schlachten frühzeitig gewonnen werden. Dies schließt nicht aus, dass in der Anfangsphase höhere Ausgaben getätigt werden, wenn diese für den Erfolg notwendig sind, um später Ressourcen zu sparen. Um die eigenen Ressourcen zu verbessern, sollte dem Gegner nach Möglichkeit Material (Nahrung, Waffen, Menschen) abgenommen werden, um die eigene Stärke zu verbessern und den Gegner zu schwächen. Er muss dann möglicherweise größere Investitionen tätigen, um den Verlust seiner Vermögenswerte zu kompensieren. Neben der Förderung des Bewusstseins für eine angemessene Rekrutierung von Truppen und dem Überzeugen von der eigenen Politik und der bestmöglichen Nutzung aller Ressourcen, sollten die Truppen dazu ermutigt werden, ihren Gegnern Vorräte zu ihrem eigenen Vorteil zu entwenden. Ein solches Verhalten kann innerhalb der Truppe als konstruktives und stabilisierendes Verhalten betrachtet werden.
Oberstes Ziel ist es, den Sieg auf andere Weise als durch militärisches Eingreifen zu erreichen
Im Allgemeinen ist die Vermeidung des Kampfes zur Erringung des Siegs die vorrangige Strategie. Dieser Aspekt wird von Sun Tzu wiederholt angesprochen. Ein Sieg, der entweder durch die völlige Vermeidung eines Kriegs, z. B. durch Verhandlungen, oder durch Täuschung erreicht wird, vermeidet auch die damit verbundenen Kosten. Aber all dies hat noch tiefere Auswirkungen. Langfristig ist es aufgrund der Schäden an Bevölkerung und Ressourcen viel schwieriger, ein erobertes Gebiet zu stabilisieren, zu kontrollieren und zu beherrschen. Die Folgen können schwerwiegend sein. Sun Tzu betont, dass »Tote nicht wieder zum Leben erweckt werden können«. Die Argumentation des Kriegs muss fundiert und gerechtfertigt sein. Der »weise Herrscher ist wachsam, um das Reich sicher und die Armee gesund zu erhalten«. Daher sollte der Feind nur dann vernichtet werden, wenn alle anderen Taktiken versagen.
Kämpferische und nicht-kämpferische Taktiken
Sun Tzu beschreibt die schrittweise Steigerung nicht-kämpferischer und kämpferischer Taktiken. Zuerst sollten die Pläne des Feindes gestört werden. Wenn dies gelingt, wird der Feind zögern, in den Krieg zu ziehen. Um den Gegner zu schwächen und zu isolieren, sollten seine Allianzen vorzugsweise durch diplomatische Maßnahmen untergraben werden. Die nächsten Eskalationsstufen sind der offene (Feld-)Kampf und die Belagerung, wobei letztere das Worst-Case-Szenario darstellt, da sie insgesamt zu mehr Zerstörung führt und viel mehr Ressourcen verschlingt, wodurch die eigenen Kräfte geschwächt werden. Zu den Kampftaktiken gehören Angriffe auf Menschen, Vorräte, Ausrüstung, Lagerhäuser und militärische Einheiten. Angriffe sollten weiterverfolgt werden. Die Aufnahme von Kampfhandlungen sollte nur aus einer Position der Stärke heraus erwogen werden. Sind beide Gegner ähnlich stark oder ist man selbst schwächer, sollte das Ziel sein, den Gegner zu überzeugen, den Angriff zu starten. Unabhängig von der Eskalationsstufe ist die Einigkeit der Anführer wichtig, denn Uneinigkeit unter den Verantwortlichen schwächt die Siegchancen. Wenn man den Führern nicht vertrauen kann, wissen sie nicht, mit welchen Umständen und Bedingungen die kämpfenden Truppen konfrontiert sind. Oder es werden Befehle erteilt, die unmöglich ausgeführt werden können, was zu Desorganisation führt. Zu wissen, wann man kämpft, wie man die Kräfte vereint und ihre Fähigkeiten nutzt und sich von ungünstigen Eingriffen durch Vorgesetzte unabhängig macht, sind wichtige Elemente des Erfolgs. Maximale Kenntnis und objektive Wahrnehmung dieser Aspekte von sich selbst und dem Feind werden zum Sieg führen.
Der Krieg soll nur geführt werden, wenn die eigene Vorbereitung besser ist als die des Gegners
Schlachten sollten nicht aus Eitelkeit, sondern aus Gründen der Effektivität geführt werden. Daher sollten nur diejenigen einen Krieg führen, die bereits Sieger durch bessere Vorbereitung und damit verbundene Unverwundbarkeit sind. Auch hier ist das Wissen um die eigenen Fähigkeiten und die des Gegners ein wichtiger Teil der Vorbereitung, sowohl in Bezug auf äußere als auch auf innere Faktoren. Wenn man die inneren Faktoren, insbesondere den politischen Willen und die Ausbildung, nicht in den Griff bekommt, führt dies zu Schwächen, die den Sieg gefährden. Innerhalb der eigenen Armee sollte die Moral nicht nur überwacht, sondern verbessert werden.
Kommunikation, Momentum, orthodoxe und unorthodoxe Taktiken
Sun Tzu betont die Bedeutung angemessener Kommunikationsmethoden, die dazu führen, dass die Truppen unabhängig von ihrer Größe effizient Informationen weitergeben und gut geführt werden können. Dadurch sollen Ressourcen geschont und kombiniert werden (»Momentum«), um bessere Ergebnisse zu erzielen. Das Element der Eigendynamik verschafft den siegreichen Truppen durch synergetische Ereignisse einen Vorteil. Wenn es ihnen gelingt, den Gegner dazu zu bringen, seine Truppen so zu formieren, dass er ungewollt die gegnerischen Ziele (d. h. ihre eigenen) unterstützt, verringert dies den Aufwand auf ihrer Seite und schont zudem ihre Ressourcen. Die geschickte Anwendung orthodoxer und unorthodoxer Taktiken kann die Dynamik unterstützen. Da sich die Gefechtssituationen häufig ändern, ist es unmöglich, im Voraus zu sagen, welche Taktikvariante letztendlich erfolgreich sein wird. In der Regel werden orthodoxe Taktiken eingesetzt, um »in die Schlacht einzutreten«, während außergewöhnliche Taktiken eingesetzt werden, um »sie zu gewinnen«. Sun Tzu verwendet die Metapher des Wassers, um zu veranschaulichen, dass die Armee und ihre Taktik nahezu formlos sein müssen. Sie muss sich der jeweiligen Situation, dem Umfeld und den Bedingungen anpassen. In Bezug auf das Ressourcenmanagement sollte der Feind dazu gebracht werden, seine eigenen Ressourcen zu verschwenden. Den Feind aus dem Gleichgewicht zu bringen und zu beschäftigen, ist ein gutes Beispiel für die Anwendung der Taktik der Ablenkung und Täuschung. Ein guter Anführer versucht, den Feind zu Handlungen zu bewegen, die seinem Status oder seiner Situation nicht angemessen sind, und versucht, die Schritte des Gegners vorhersehbar zu machen. Auf diese Weise wird es möglich, Schwachstellen des Gegners zu identifizieren, zu provozieren und anzugreifen. Gleichzeitig lässt ein Angreifer »den Gegner im Unklaren darüber, was verteidigt werden muss«, und trägt so zur Verwirrung des Gegners bei. Der Feind ist dann nicht mehr in der Lage, seine Pläne zu verfolgen, zeigt seine Schwächen und wird auch anfälliger für Angriffe.
Berücksichtigung von Variablen
Die Kriegsführung hängt von inneren und äußeren Faktoren ab, die entweder konstant oder veränderlich sind. Die Umstände können zu begrenzten Operationen führen. In jedem Fall ist laut Sun Tzu Anpassungsfähigkeit und Flexibilität erforderlich, um mit unerwarteten und gleichzeitig veränderten Bedingungen umgehen zu können. Sun Tzu erklärt, dass der Weg zu den Schlachtfeldern so kurz und direkt wie möglich sein sollte, da diejenigen, die zuerst dort ankommen, einen Vorteil (auch bei der Aufklärung) haben. Auf dem Weg dorthin bereiten sie Aktionen vor und führen sie durch, die darauf abzielen, den Feind abzulenken, was zur Folge hat, dass der Feind mehr von seinen wertvollen Ressourcen aufwenden muss, und außerdem für Schwung sorgt. Verschiedene Schauplätze bieten unterschiedliche Möglichkeiten, Gefahren und Hindernisse. Berge zwingen die Armee, unterschiedliche kinetische Niveaus von niedrigerem zu höherem Gelände zu überwinden, Flüsse unterteilen das Land durch manchmal ansteigende und fast unpassierbare Ströme fließender Energie, Sümpfe haben unvorhersehbare Auswirkungen auf die Stabilität des Geländes. Da solche Landschaftsmerkmale ein Heer verlangsamen können, müssen sie vorsichtig, aber dennoch schnell überwunden werden, um keine unnötigen Ressourcen zu verbrauchen und auch um Gefahren zu vermeiden. Ist ein Kampf in solchem Terrain unvermeidlich, müssen Auswege und Strategien geplant werden. Darüber hinaus beschreibt Sun Tzu sechs Geländetypen und führt den Leser in das Konzept der relativen Positionen zwischen den Gegnern und möglichen Auswirkungen des Geländes ein. Zugängliches Gelände ermöglicht es beiden Parteien, vorteilhafte strategische Positionen einzunehmen, die ihnen ähnliche Möglichkeiten bieten. Eingeschlossenes Gelände bietet die Möglichkeit für überraschende, aber riskante Angriffe, da ein Rückzug gefährlich ist. Eingeebnetes Gelände verschafft keiner Partei einen Vorteil: Beide verweilen in einer Warteposition, bis die andere Partei einen Zug macht, der entweder eine Schwäche darstellt oder eine Gegenaktion unvermeidlich macht. Eingeschränktes Gelände ermöglicht die Errichtung starker Verteidigungsanlagen und die Errichtung von Hindernissen, die der Feind überwinden muss. Höhen dürfen nur von einer Partei besetzt werden. Wer als Erster eine höhere Position einnimmt, ist im Vorteil. In einer solchen Position sollte abgewartet werden, bis der Gegner angreift. In der abgelegenen Position befinden sich die Gegner noch in beträchtlicher Entfernung voneinander. Einen Kampf in dieser Position zu beginnen, wird selten einen Vorteil bringen. Man sollte eher warten, bis der Feind nicht mehr ganz so weit entfernt ist, und die Zeit für zusätzliche Vorbereitungen nutzen.
Lösen von Konflikten
Sun Tzu beschreibt neun Situationen, mit denen sich Armeen in den verschiedenen Phasen des Kriegs konfrontiert sehen können. Diese fügen den oben beschriebenen Terrainvariablen eine weitere Konnotation hinzu. Sun Tzu gibt auch Ratschläge zum Verhalten auf diesem Gelände: Wenn eine Partei auf dem Gelände des Gegners kämpft, handelt es sich um eine »kompromittierte« Situation, und Kämpfe sollten vermieden werden, stattdessen sollte die Zeit genutzt werden, um Einigkeit innerhalb der eigenen Armee herzustellen. Wenn die eigene Armee nicht zu tief in ein feindliches Gebiet eingedrungen ist, ist die Situation »grenzwertig«, und die Armee sollte versuchen, schnell durchzukommen. Die Verbrüderung sollte gefördert werden. Die Situation ist »umkämpft«, wenn beide Parteien die Oberhand gewinnen könnten und ein Angriff nicht ratsam ist, und man sollte in einer solchen Situation Verstärkung anfordern. In einer Situation, in der die eigene Armee überwältigt werden könnte, wird die Lage als »unsicher« bezeichnet, und die Armee sollte nicht vorwärts marschieren, sondern in der Defensive bleiben. Eine »fokale« Situation liegt vor, wenn sich beide Armeen frei auf dem Gelände bewegen können, was die Suche nach Allianzen ermöglicht. Dringt die eigene Armee tief in feindliches Gebiet ein, handelt es sich um eine »engagierte« Situation, und der Schwerpunkt sollte auf der Einrichtung von Nachschublinien liegen (z. B. durch Plünderung von Städten). Wenn die Armee mit einem Gebiet konfrontiert ist, das aufgrund geografischer und infrastruktureller Probleme schwer zu durchqueren ist, ist die Situation »behindert« und das Vorrücken zur Überwindung dieses Geländes hat Priorität. Befindet sich die Armee in einer »umzingelten« Situation, befindet sie sich höchstwahrscheinlich auf einem Gebiet, das sie verwundbar macht, und sowohl der Rückzug als auch das Vorrücken werden schwierig sein. Sun Tzu rät den Anführern, Pläne zu machen und enge Pässe zu bewachen. Die tödlichste (»mortale«) Situation wird von Sun Tzu als diejenige definiert, in der nur ein verzweifelter Kampf die Möglichkeit bietet, der Zerstörung zu entkommen. In solchen Situationen müssen sich die Truppen für einen letzten Versuch zusammenschließen.
Der Vietnamkonflikt
In der französischen Kolonie Vietnam kam es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu antikolonialen Ressentiments. Sie gipfelten im »Ersten Indochinakrieg« zwischen den Franzosen und den Vietminh zwischen 1946 und 1954, wobei letztere versuchten, eine unabhängige und kommunistische vietnamesische Nation zu schaffen. In den Vereinigten Staaten von Amerika wurde die wachsende Popularität kommunistischer Ideen in Südostasien (die in gewisser Weise von den kommunistischen Regierungen der Sowjetunion und Chinas beeinflusst waren) jedoch als Bedrohung aufgefasst. Es wurde befürchtet, dass dies zu sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen führen könnte. Aus diesem Grund unterstützten die Vereinigten Staaten unter der Präsidentschaft von Dwight D. Eisenhower die Franzosen finanziell und mit Waffen. Auf der anderen Seite des Konflikts wurden die Vietminh von ihren kommunistischen Bruderstaaten, d. h. China und der Sowjetunion, unterstützt. Im März 1954 erlitten die Franzosen in der Schlacht von Dien Bien Phu eine entscheidende Niederlage, und infolgedessen wurde die französische Kolonie Indochina in mehrere unabhängige Länder aufgeteilt, nämlich (Nord- und Süd-)Vietnam, Kambodscha und Laos. Dies wurde später im selben Jahr auf einer Friedenskonferenz in Genf mit dem sogenannten Genfer Abkommen ausgehandelt. In der Abschlusserklärung dieser Konferenz wurden für 1956 Wahlen versprochen, um den kommunistischen Norden und den nicht kommunistischen Süden Vietnams zu vereinen. Der Süden boykottierte jedoch diese Wahlen, unterstützt von den Vereinigten Staaten. Als militärischer Arm der Nationalen Befreiungsfront des Nordens wurde 1960 in Hanoi der Vietcong als Guerilla-Armee gegründet, was zum Teil eine Antwort auf das Verhalten des Südens war. Zur Unterstützung des Südens entsandten die Vereinigten Staaten in den folgenden Jahren rund 16.000 Soldaten. Das Mekong-Delta, das sich im südwestlichen Teil Vietnams befindet und landwirtschaftlich von großer Bedeutung ist, wurde 1963 vom Vietcong erobert. Unter der Führung von Präsident Lyndon B. Johnson traten die Vereinigten Staaten von Amerika 1965 in den Zweiten Indochinakrieg ein, der allerdings nie offiziell erklärt wurde. Stattdessen wurde im Kongress die »Golf-von-Tonkin-Resolution« verabschiedet, die den Präsidenten ermächtigt, »alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um einen bewaffneten Angriff gegen Streitkräfte der Vereinigten Staaten abzuwehren und weitere Aggressionen zu verhindern.« (siehe Summers). In der Folge wurden zunächst etwa 184.000 Soldaten nach Vietnam entsandt, und diese Zahl wuchs bis 1968 auf etwa 540.000 Infanteristen an. In dieses Jahr fiel auch die Tet-Offensive, eine der größten Militäraktionen des Vietnamkriegs. Sie begann Ende Januar mit dem vietnamesischen Neujahrsfest und endete erst Ende September 1968. Mit ihren Überraschungsangriffen auf militärische und zivile Ziele in Südvietnam führte sie zu einem immensen Verlust an Menschenleben in Nordvietnam. Auch das Massaker von My Lai fand in dieser Zeit statt (16. März 1968): Amerikanische Soldaten verübten ein Massaker an Zivilisten im Bezirk Son Tinh, weil sie glaubten, dass sich Soldaten der Vietcong in dem Gebiet versteckten und weil sie durch ihre eigenen Verluste in den Tagen zuvor angestachelt wurden. Sowohl die Offensive als auch das Massaker stellten für beide Seiten einen Wendepunkt dar, vor allem aufgrund der grausamen Handlungen einiger Kämpfer. In den Vereinigten Staaten war die Unterstützung für die Militäraktion deutlich rückläufig, was eine restriktivere Politik zur Folge hatte. Präsident Richard Nixon leitete Anfang der 1970er Jahre die Vietnamisierungspolitik ein, die die Übertragung der Hauptkampfverantwortung auf die südvietnamesischen Truppen zum Ziel hatte. Im Rahmen dieser Politik wurden die Truppen abgezogen, und der US-Kongress verbot 1971 auch Bodeninterventionen durch US-Truppen. Da die Südvietnamesen nicht in der Lage waren, den Vietcong ohne die US-Bodentruppen zu bekämpfen, erhielten sie weiterhin Luftunterstützung durch das US-Militär. In einem Fall wurden auf Befehl von Präsident Nixon Luftangriffe auf Nachschubbasen der Vietcong im neutralen Kambodscha und Laos durchgeführt. Dies verstärkte jedoch zusätzlich die Antikriegsstimmung in den USA. Insgesamt war der Konflikt aus militärischer Sicht ein Misserfolg und wurde eher auf diplomatischem Wege beigelegt, nämlich mit dem Pariser Friedensabkommen von 1973. In der Folge wurde die Beteiligung der USA an dem Konflikt offiziell beendet und ein Waffenstillstand zwischen Nord- und Südvietnam geschlossen, obwohl die Kämpfe bis 1975 andauerten. Im Mai 1975, als Saigon fiel und Südvietnam kapitulierte, hatten die nordvietnamesischen Truppen Südvietnam vollständig erobert und der Zweite Indochinakrieg war beendet. Das Land wurde als »Sozialistische Republik Vietnam« wiedervereinigt. Verschiedenen Quellen (Hirschmann, Preston und Loi, Obermeyer, Murray und Gakidou) zufolge wurden im Laufe des Kriegs zwischen einer und drei Millionen Vietnamesen – sowohl Zivilisten als auch Militärangehörige – und etwa 58.000 amerikanische Soldaten getötet.
Implikationen von Sun Tzu in der Analyse des Vietnamkriegs
»Sie wissen, dass Sie uns auf dem Schlachtfeld nie besiegt haben.« – »Das mag so sein, aber es ist auch irrelevant.«
Oberst Harry G. Summers wählte diesen Ausschnitt aus einem Gespräch, das er 1975 mit Oberst Tu, dem Leiter der nordvietnamesischen Delegation in Hanoi, führte, als Einleitung zu seiner 1981 veröffentlichten lesenswerten kritischen Analyse der amerikanischen Niederlage in Vietnam. Summers war zu dieser Zeit Leiter der Verhandlungsabteilung der US-Delegation. Die bestechende Wahrheit in beiden Aussagen wirft die Frage auf, warum eine gut ausgerüstete, trainierte, bewegliche und logistisch voll abgesicherte und unschlagbare moderne Armee wie die der USA nicht in der Lage war, den Krieg gegen eine größtenteils untrainierte, schlecht bewaffnete nordvietnamesische Armee und den Vietcong zu gewinnen. Die Verluste auf vietnamesischer Seite waren entsetzlich. Schätzungen gehen von bis zu drei Millionen militärischen und zivilen Todesopfern aus, und dennoch haben die Nord- (und Süd-) Vietnamesen den Krieg gewonnen, obwohl sie schwer getroffen wurden. In seiner Analyse wendet Summers die strategischen Theorien von Clausewitz an, um zu begründen, warum die Amerikaner den Krieg verloren haben, und identifiziert eine Vielzahl von Fehlern und Ungereimtheiten, die zu Abweichungen vom Clausewitz’schen Ansatz der Kriegsführung führten. Zu verstehen ist der Paradigmenwechsel vom totalen Krieg im Sinne der von Clausewitz'schen Strategie zum begrenzten Krieg als Anpassung an den beginnenden Kalten Krieg. Mit den Ausgaben, die erforderlich waren, um bezahlbare Verteidigungsmechanismen aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Konflikte zu verhindern, die in einem Atomkrieg enden könnten, trat die klassische Militärstrategie in den Hintergrund. In mehreren Arbeiten wurde der Vietnamkrieg unter Anwendung der von Clausewitz’schen Theorien für Strategien analysiert.
In den folgenden Absätzen werden die strategischen Theorien Sun Tzus angewendet, um die kritische Analyse durch eine etwas andere kulturelle und philosophische Sichtweise zu ergänzen und zu unterstützen. Jeder Absatz wird mit einem Zitat aus Sun Tzus »Kunst des Krieges» eingeleitet, das im Kontext der historischen Ereignisse diskutiert wird.
»Politik ist das, was das Volk im Einklang mit seinem Führer hält, indem es ihn mit seinem Leben unterstützt und keine Angst vor Gefahren hat.«
Sun Tzu unterstreicht die Bedeutung der Politik für militärische Angelegenheiten. Die politischen Führer entscheiden über das Führen eines Kriegs, aber ohne den politischen Willen des Volks sind viel größere Anstrengungen nötig, um zu siegen, wenn ein Sieg nicht sogar unmöglich gemacht wird, weil die Unterstützung fehlt. Summers bezeichnet das »Versäumnis, den nationalen Willen zu mobilisieren, als einen der größten strategischen Fehler des Vietnamkriegs«, da dies die militärische Kampagne von Anfang an schwächte. Dies wurde besonders problematisch, nachdem die Tet-Offensive nach mehreren Monaten geendet hatte, in denen die Medien ausführlich über die Brutalität des Kriegs berichtet hatten, was wiederum die Unterstützung der US-Bevölkerung für die Kriegsteilnehmer stark beeinträchtigte und zu innerer Instabilität führte. Ein wichtiger Aspekt, der zu einer noch geringeren Identifikation der amerikanischen Bevölkerung mit ihrer Armee führte, war auch die fehlende Kriegserklärung des Kongresses. Stattdessen wurde die Tonkin-Resolution als stellvertretendes Engagement des Kongresses genutzt. Summers zitiert den New Yorker Senator Javits, der einräumte, dass »die meisten Mitglieder des Kongresses bei der Abstimmung über die unbegrenzten Befugnisse des Präsidenten dachten, sie würden Vergeltung für einen Angriff auf unsere Streitkräfte üben und einen groß angelegten Krieg in Asien verhindern, anstatt dessen Beginn zu genehmigen5«. Die Wut gegen das Militär, die Infragestellung der Armeepräsenz in Vietnam und die offenen Aufrufe zur Desertion der Soldaten resultieren zumeist aus der Tatsache, dass die Streitkräfte offiziell nicht auf der Grundlage des Volkswillens in den Krieg geschickt wurden. Es gab kein entsprechendes Mandat des Kongresses als Vertreter der US-Bevölkerung. Noch fragwürdiger wird das Ganze dadurch, dass weder das Militär noch die verschiedenen im Laufe des Kriegs beteiligten Präsidentschaften um einen entsprechenden Rechtsakt gebeten haben. Es ist davon auszugehen, dass zumindest zu Beginn niemand mit einem langwierigen Krieg rechnete, sondern eine eher kurze Intervention von den meisten erwartet wurde.
»Der Krieg ist für den Staat von großer Bedeutung. Er ist eine Frage von Leben und Tod, ein Weg zum Überleben oder zur Flucht. Er kann nicht ignoriert werden.«
Sun Tzu erinnert die Leser daran, dass die Option, einen Krieg zu führen, ernsthaft in Betracht zu ziehen ist, da die Folgen für alle Beteiligten von großer Bedeutung sind. Ein klares politisches Ziel ist von größter Bedeutung, um die Aktionen zu rechtfertigen. Laut Oberst William O. Staudenmaier hat die amerikanische Kriegsstrategie das politische Ziel nie unterstützt. In der Tat änderte sich das politische Ziel mehrmals und war daher zu jedem Zeitpunkt schwer zu fassen. Das Ziel änderte sich vom Wunsch nach einem unabhängigen und sicheren Südvietnam über die Niederlage oder Eindämmung des Kommunismus bis hin zum amerikanischen Prestige und schließlich zur Niederschlagung der revolutionären Kriegsführung. Staudenmaier behauptete, dass »der Krieg weniger Blut und Finanzen gekostet hätte und unser Land nicht gespalten hätte, wie es schließlich der Fall war, wenn die Strategie der Befriedung und Vietnamisierung von Anfang an (1954) Priorität gehabt hätte«. Ähnlich argumentiert auch Summers in Teil II seiner Analyse. Er stellt fest, dass die Vereinigten Staaten in Ermangelung eines klaren Ziels auf Abwege gerieten und daher eine defensivere Haltung einnahmen. Dass man sich in dieser »strategischen Defensive« befand, wurde von den Verantwortlichen jedoch nicht ausreichend erkannt, und daher führte keiner der unternommenen Schritte zu einer angemessenen Anpassung der Militärstrategie, die einen partizipativen Ansatz unterstützt hätte. Im Gegenteil, sie setzten ihre taktischen Kampagnen gegen die Guerilla im Süden fort und hielten diese fälschlicherweise für die Hauptanstrengungen des Feindes, obwohl diese kaum mehr als ein Mittel zur Ergänzung der größeren Strategie Nordvietnams waren.
»Kenne den Feind und kenne dich selbst, und in hundert Schlachten wird es keine Gefahr geben.«
Sun Tzu spricht hier einen äußerst wichtigen Aspekt der Selbsterkenntnis durch Selbstbeobachtung und objektives Wissen über den Feind an. Zu letzterem gehören Summers und Staudenmaier, die beide feststellten, dass die amerikanische Strategie das Hauptanliegen der südvietnamesischen Bevölkerung vernachlässigte, nämlich den Widerstand gegen den kommunistischen Aufstand. Die südvietnamesische Bereitschaft, dem Aufstand zu widerstehen, konnte durch militärische Maßnahmen nicht verbessert werden. Die Bevölkerung vertraute ihrer Regierung die Aufgabe an, Sicherheit und Befriedung zu erreichen6. Dieses politische Ziel konnte nicht durch eine militärische Aktion erreicht werden, die darauf abzielte, die nordvietnamesische Armee zu besiegen. Als 1965 deutlich wurde, dass die südvietnamesische Regierung dem kommunistischen Druck nicht standhalten konnte, reagierten die USA mit verstärkter militärischer Präsenz und Aktionen. Dies führte wiederum zu einer Eskalation, da Nordvietnam nun seine Truppen in größerer Zahl mobilisierte, was wiederum von den USA in gleicher Weise beantwortet wurde. Die Eskalationsspirale ging nach Fleck so weit, dass die Zahl der US-Truppen schließlich so hoch wurde, dass sie die Fähigkeit zur Verteidigung Europas bedrohlich einschränkte.
»Es hat noch nie einen langen Krieg gegeben, der für ein Königreich von Vorteil war.«
Im zweiten Kapitel Sun Tzus Arbeit wird diese Aussage damit erklärt, dass ein (unnötig) langer Konflikt finanzielle Ressourcen bindet und die eigene Energie erschöpft, sodass ein kurzer und entscheidender Kampf erfolgversprechender ist als ein Durchhalten um jeden Preis.
»Gewinnen Sie, indem Sie ein fähiger General sind, ohne Einmischung des Herrschers.«
Sun Tzu akzeptiert zwar die Idee, dass das Mandat für die im Feld Handelnden von den in der Hierarchie höher Stehenden kommen sollte, doch ist es für ihn einer der Schlüssel zum Erfolg, den Untergebenen zu erlauben, ihre Aufgaben ohne Einmischung ihrer Vorgesetzten (die ihr Wissen über die aktuellen Umstände im Feld möglicherweise nicht teilen) zu erfüllen. Dies sollte sogar so weit gehen, dass sie »nach den objektiven kontingenten Erfordernissen des Krieges und nicht nach den subjektiven Wünschen des Herrschers oder des Generals« handeln (siehe Dimovski, Marič, Uhan, Đurica, und Ferjan). Der Vietnamkrieg zeigt Beispiele für beide Seiten dieser Medaille. Einerseits scheiterten die US-Streitkräfte, was möglicherweise auf ihr Festhalten an Hierarchien mit Einmischung von oben zurückzuführen war, und änderten ständig ihre Strategien (oft eher aus politischen Gründen als als Reaktion auf eine bessere Anpassung an die Ereignisse im Feld). Andererseits waren die Guerillataktiken des Vietcong, die eine größere Flexibilität in den Auseinandersetzungen mit dem Feind ermöglichten, letztlich einer der Bausteine für seinen Sieg.
»Die Verwaltung einer großen Zahl sollte die gleiche sein wie die Verwaltung einer kleinen Zahl.«
Für Sun Tzu ist die Organisation der Armee ein Punkt, der dazu beiträgt, den Krieg zu gewinnen. Er fasst mehrere relevante Elemente zusammen: Einheit des Kommandos, Koordination der beteiligten Kräfte (in der heutigen Zeit Heer, Infanterie, Marine, Luftwaffe), klare und präzise Befehle und die Durchsetzung von Regeln. Summers geht auf die fehlende Einheit der Befehlsgewalt bei den US-Streitkräften im Vietnamkrieg ein. General Westmoreland war allein für die taktische Führung verantwortlich. Die anderen Streitkräfte, wie die Luftwaffe und die Marine, wurden von Honolulu und Washington aus koordiniert. Nach Summers Analyse war es aufgrund des Fehlens eines kohärenten militärischen und politischen Ziels auch unmöglich, »das Vorgehen aller Kräfte auf ein gemeinsames Ziel hin zu koordinieren«.
»Strategie ist eine Doktrin der Täuschung«
Grob erklärt, versucht Sun Tzu mit dieser Aussage zu vermitteln, dass man nicht in einer vorhersehbaren Weise handeln und die Erwartungen des Feindes erfüllen sollte. Vielmehr sollte darauf abzielt werden, dem Feind einen falschen Eindruck von den eigenen Fähigkeiten und der allgemeinen Situation zu vermitteln. Die Taktik kann sein, den Feind glauben zu machen, dass die eigene Armee schwach ist (obwohl stark), dass über viele Kräfte verfügt wird (obwohl dies nicht der Fall ist) oder dass eine bestimmte, möglicherweise vereinbarte Vorgehensweise folgt (obwohl die tatsächliche Vorgehensweise eine ganz andere ist). Die bereits erwähnte Tet-Offensive von 1968 rund um das vietnamesische Neujahrsfest ist ein Paradebeispiel für eine solche Täuschung, auch wenn sie letztlich für beide Seiten eine aus den oben genannten Gründen ausgemachte Katastrophe war (s. Lawrence und Wirtz). Obwohl für diesen Feiertag ein siebentägiger Waffenstillstand vereinbart worden war, startete der Norden einen groß angelegten und geografisch verteilten Angriff, der die südvietnamesischen und amerikanischen Streitkräfte überraschte. Aufgrund der Befürchtung, dass sich die Ereignisse von Dien Bien Puh von 1954 wiederholen könnten, verlegten die US-Amerikaner eine große Anzahl von Elite-Soldaten in die Näher der entmillitarisierten Zone (Clarke, Windrow). Zuvor war der dortige US-Militärstützpunkt in Khe Sanh angegriffen worden, was die Vermutung stützte. Durch die Verlegung wurde zunächst ein Kontingent von US-Soldaten dort unnötig gebunden, als die Tet-Offensive später begann.
»Es ist die Krönung der kriegerischen Leistung, ohne Kampf zu gewinnen.«
Dies ist eine der zentralen Ideen, die Sun Tzu im dritten Kapitel seines Traktats vorstellt: »Wer geschickt genug ist, wird nur dann zum Kampf greifen, wenn es absolut notwendig ist, und stattdessen andere, nicht kriegerische Strategien in Betracht ziehen oder sogar vorziehen, wenn diese vorteilhaft zu sein versprechen«. Sun Tzu betont einen umfassenderen Ansatz für den Krieg als den reinen Kampf und bezieht auch gewaltfreie Elemente wie Diplomatie, Aufklärung und Spionage mit ein. Gemäß dieser Maxime bestand die Strategie des Vietcong in erster Linie darin, den Feind nicht direkt anzugreifen und zu bekämpfen. Für sie war es weniger wichtig, einzelne Schlachten, als vielmehr den Krieg zu gewinnen. Nach DeKay erwies sich die Ermüdung des Gegners im Sinne eines »Zermürbungskriegs« mit sorgfältiger Beobachtung und Abwarten, bis sich eine vielversprechende Gelegenheit für einen erfolgreichen Angriff ergab, als wesentlich erfolgreicher. Insgesamt stand die Strategie des Vietcong im Einklang mit Sun Tzus Ansichten. Die Berücksichtigung von Spionage, der Kenntnis des Gegners sowie die Geografie des Kriegsschauplatzes waren Schlüsselelemente, die nach Fitzsimmons einen größeren Beitrag zum Ergebnis leisteten als die Kämpfe selbst.
Schlussfolgerung
Dieses Kapitel versucht, die von Sun Tzu in seiner berühmten Abhandlung »Die Kunst des Krieges« beschriebenen Strategien in den taktischen Mustern der Parteien des Vietnamkriegs zu identifizieren. In der Tat gibt es nach der Untersuchung von Sun Tzus strategischem Denken und der (kritischen) Analyse durch das US-Militär starke Hinweise darauf, dass der Vietcong Taktiken anwandte, die Sun Tzus Ideen nahekamen. Sun Tzus Schlüsselkonzepte ließen sich im Vorgehen des US-Militärs kaum finden. Dennoch lässt sich nicht ohne weiteres einfach behaupten, dass der Sieg der nordvietnamesischen Seite allein aufgrund von Sun Tzus sieben Fragen zur Selbsteinschätzung, wie sie im ersten Kapitel seiner Abhandlung beschrieben sind, vorhersehbar war: Die US-Armee war »effizienter organisiert«, konnte sich auf die »am besten ausgebildeten Offiziere und Männer« verlassen, hatte »die stärkere Armee« und ihr General war »am fähigsten«. Der Vietcong und die nordvietnamesische Armee waren »durch das Wetter und das Terrain begünstigt« und »wurden eindeutig belohnt und bestraft«. Wenn man diese Faktoren gegeneinander abwägt, hätten die US-Streitkräfte der Sieger sein müssen. Und es ist keine Überraschung, dass sie in der Schlacht siegreich waren, da sie ihre Feinde mit tödlicher Effizienz und unter Einsatz von Technologie überwältigen konnten. Dennoch haben die USA den Krieg verloren, da ihnen einer der wichtigsten Bausteine fehlte, auf dem ein Sieg hätte aufgebaut werden können: Der (politische) Rückhalt in der Bevölkerung (sowohl auf der eigenen Seite als auch bei den Vietnamesen) war nicht vorhanden. Er wäre für die Formulierung (klarer) politischer Ziele erforderlich gewesen. Berücksichtigt man das Fehlen dieser Voraussetzungen, so war der Ausgang des Kriegs tatsächlich schon 1954 absehbar. In der öffentlich zugänglichen militärischen Literatur über den Vietnamkrieg stützen sich die Analysen häufig auf einen anderen großen Kriegsstrategen, nämlich auf von Clausewitz. Was bei weiteren Recherchen immer deutlicher wurde, war, dass – auch nach von Clausewitz – die Niederlage der US-Streitkräfte vorhersehbar gewesen wäre, da seine Leitphilosophie »Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln» von der US-Regierung ad absurdum geführt wurde. Stattdessen trennte die US-Regierung »Politik« und »Krieg« und besiegelte damit das Schicksal. Das Ergebnis war nach Summers »ein taktischer Sieg, aber eine strategische Niederlage«. Dieser Krieg brachte unnötige Verwüstung, Traumatisierung und Leid über ein geschundenes Land und seine Bevölkerung, und die beteiligten Regierungen ließen ihr Volk im Sinne von Sun Tzu im Stich, der sagte: »Und so ist der weise Herrscher vorsichtig, der gute General wachsam, um das Reich sicher und die Armee vollständig zu erhalten. Das ist der Weg.« Sowohl von Clausewitz als auch der gesunde Menschenverstand würden einer solchen Einschätzung sicherlich zustimmen.
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Footnotes
- General Giap war ein großer Anhänger von Sun Tzus »Die Kunst des Krieges«. ↩
- Bei der Recherche zum Thema waren im Internet mehrere Videodokumentationen zu finden, die sich mit der Anwendung der Ideen Sun Tzus auf dem Schlachtfeld von Vietnam befassten. Dabei ging es hauptsächlich um die nordvietnamesische Seite. Allerdings wurden die anderen Kriegsparteien des Konflikts nicht ausreichend behandelt. Eine kritische Debatte über die Rolle der US-Streitkräfte blieb aus. ↩
- Die moderne Übersetzung von Jonathan Clements dient in diesem Aufsatz als Basis. ↩
- Sun Tzu wird manchmal mit Sun Bin, einem seiner Nachkommen, verwechselt, der ebenfalls für seine Arbeiten zur Militärstrategie bekannt war. ↩
- Von Clausewitz ist nicht das Hauptthema dieses Aufsatzes, der sich auf die Strategie und Taktik von Sun Tzu konzentriert, aber die Kenntnis der Schlüsselelemente des amerikanischen Verständnisses von Kriegsführung ist ebenfalls entscheidend für das Verständnis, warum die Amerikaner besiegt wurden, und wird deshalb an geeigneten Stellen in diesem Aufsatz behandelt. Die Theorien von Clausewitz wurden vom US-Militär umgesetzt. Summers zitiert von Clausewitz in diesem Zusammenhang, da »das moralische Element ebenfalls berücksichtigt werden muss«. ↩
- Die Autoren beziehen sich auf das von Clausewitz'sche Konzept des »Schwerpunkts«. Nach dieser Theorie ist dies der entscheidende Punkt des Feindes, der mit höchster Priorität behandelt werden muss ↩