Soziale Interaktion als Lernmotor: Aikido-Lehren unter Pandemiebedingungen

In diesem Aufsatz berichten Kantzara und Loos über ihr digitales Aikido-Training während der COVID-19-Pandemie. Sie entwickelten ein innovatives Online-Konzept, das körperliches Training mit sozialer Verbundenheit verband. Im Fokus stand nicht nur Technikvermittlung, sondern auch psychosoziale Unterstützung und Resilienzförderung. Durch vielfältige Kommunikationskanäle entstand ein stabiles Lernnetzwerk, das Austausch, Gemeinschaft und Motivation ermöglichte. Die Schüler erwarben neben kampfsportspezifischen Fertigkeiten auch digitale Kompetenzen. Das Training stärkte Selbstwirksamkeit, Anpassungsfähigkeit und mentale Stärke. Die Autorinnen orientierten sich an Durkheims Theorie sozialer Bindung und partizipativer Pädagogik. Aikido wurde so zu einem Ort der Fürsorge und Orientierung in unsicheren Zeiten. Ihre Arbeit zeigt, wie kreative digitale Lösungen Lernen auch in Krisenzeiten ermöglichen.

Lehre der Kampfkünste

Autor*in: Albrecht Urs-Vito

DOI: 10.4119/unibi/3003655

Jahr: 2025

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Lizenz: CC BY-ND 4.0

In einem interessanten Artikel, der in diesem Jahr veröffentlicht wurde1, gaben zwei Professoren für Soziologie und Pädagogik mit einer auto-ethnografischen Arbeit Einblicke über Aikido-Training unter COVID-19-Bedingungen. Die Autoren Kantzara und Loos, die beide über langjährige Erfahrung im Aikido verfügen, beschreiben ihre Erfahrungen mit der Durchführung von Kampfkunsttraining unter Einhaltung der während der Pandemie geltenden sozialen Distanzierungsregeln. Die engagierten Aikidomeisterinnen entwickelten von Grund auf ein Fernunterrichtskonzept, um die Einschränkungen zu überbrücken und ihren Schülern (und sich selbst) eine Lösung zu bieten, ihr geschätztes Hobby weiterhin gemeinsam auszuüben. Unter diesen besonderen Umständen lässt sich allerdings auch gut untersuchen, welche grundsätzlichen Auswirkungen Kommunikation auf das Lernen und die Leistung hat, was in diesem Aufsatz näher beleuchtet werden soll.

Motivation von Kantzara und Loos

Beeinflusst durch die dramatischen psychosozialen Begleiterscheinungen der Pandemie wollten Kantzara und Loos die unterstützende und resilienzfördernde Wirkung des Kampfkunstkonzepts ihren Schülern weiterhin zugänglich machen. Die Autorinnen sprechen insbesondere den Aspekt der »sozialen Distanzierung» als relevant an, da sie die Sportler von ihren Trainern fernhält, obwohl sie für die Lernenden von großer Bedeutung sind. Die Autoren argumentieren im Sinne von Dohsten et al., Samuel und Noddings, dass »im Idealfall Sportlehrer, Ausbilder und Trainer in Krisensituationen eine besonders fürsorgliche Haltung einnehmen und ihren Sportlern Trainingsumgebungen bieten, die 'Orte der Fürsorge' sind«. Mit ihren Bemühungen stärken sie vor allem die Kommunikation zwischen ihnen und ihrer Gemeinschaft.

Angewandte Methoden

Laut ihrer Beschreibung wurde die Kommunikation durch alle Akteure der Kampfsportgemeinschaft gemeinsam aufrechterhalten. Lehrer, Schüler und Verwandte nutzten verschiedene Kanäle, um zu kommunizieren und das Lehren, Lernen und Verwalten ihrer Kampfkunst zu koordinieren. Je nach Verfügbarkeit, Fähigkeit sowie dem erforderlichen Maß an Privatsphäre und Intimität wurden unterschiedliche Methoden eingesetzt. Die Autorinnen nutzten einen multimedialen Ansatz, um mit ihren Schülern in Kontakt zu treten. Aktive Online-Lektionen wurden per Videokonferenz durchgeführt, wobei ein verfügbares, kostenloses und einfach zu bedienendes Videokonferenz-Tool verwendet wurde. Post-hoc-Videos der Lektionen wurden den Schülern über eine kostenlose Videoplattform zur Verfügung gestellt. Kostenlose Online-Klassenzimmerdienste wurden für geplante Sitzungen genutzt. Social-Media-Messenger und Social-Network-Gruppen wurden eingerichtet, um Möglichkeiten für tägliche Diskussionen und schnellen Informationsaustausch zu schaffen. Klassische Kommunikationskanäle wie Telefonanrufe und E-Mails dienten dem weiteren Austausch über Themen, die mehr Privatsphäre erforderten.

Unterrichtsstruktur

Eine reguläre Unterrichtsstunde war im Wesentlichen in drei Phasen unterteilt. Die physische Trainings- oder Übungsphase war eingebettet zwischen einer informellen Einführungs- und einer Gesprächsphase nach der Übung. Neben technischen Fragen (z. B. Überprüfung oder Einrichtung der Ausrüstung) und administrativen Aspekten der Ausbildung wurden auch Informationen über COVID-19 vermittelt. Die Lehrkräfte gaben den Schülern Raum, um sich zu äußern und ihre Anliegen der Gruppe mitzuteilen. In der Praxisphase wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass den meisten Teilnehmern ein Trainingspartner fehlte. Daher konzentrierte sich der Unterricht für Erwachsene auf die Schattenbox-Aspekte der Kampfkunst, Solo-Fitness-Elemente und Meditation. Theoretischer Input und Lerngegenstand waren die Einführung und Diskussion der Prinzipien und Formen der Kampfkunst. Der Unterricht für Kinder folgte einer ähnlichen Struktur, wurde aber an die Bedürfnisse und Fähigkeiten der jüngeren Schüler angepasst. In den Kommunikationsphasen ging es um Aspekte der Kampfkunst und um den (gewünschten) Inhalt der nächsten Stunde. Die physische Phase umfasste Aufgaben zur Verbesserung von Koordination, Gleichgewicht und Flexibilität.

Lernergebnisse

Auch bei der alternativen Unterrichts- und Lehrstruktur der angebotenen Kurse im Vergleich zum konventionellen Unterricht berichteten die Autoren von einer Verbesserung der allgemeinen körperlichen (Grobmotorik) und der speziellen kampfkunstbezogenen Fähigkeiten. Das Ausmaß der körperlichen Entwicklung (insbesondere in Bezug auf die Selbstverteidigung) war im Vergleich zum traditionellen (nicht veränderten) Trainingsplan geringer. Stattdessen beschrieben die Autoren eine signifikante Verbesserung der Soft Skills ihrer Schüler. In erster Linie lernten die Schüler durch die Erfahrung, dass sie ihre Kampfkünste überall ausüben können, wenn sie offen für Anpassungen sind. Die Schüler (vor allem die jüngeren) erwarben digitale Lernkompetenzen und lernten, neue Kommunikationskanäle und -praktiken zu nutzen. Die Lehrer und ihre Schüler haben gemeinsam eine Kommunikationsstrategie entwickelt, die dazu beigetragen hat, die Pandemie zu bewältigen und den Trainingsfortschritt und die Verbindung zwischen den Lehrern und ihren Mitschülern zu gewährleisten. Was sie erreicht haben, ist viel stärker, als die Ergebnisse eines anonymen (nicht repräsentativen) Fragebogens zeigen. Der Kurs »vermittelte ihnen einen sinnvollen Umgang mit der alltäglichen prekären Welt«, und diese Leistung steht ganz im Einklang mit einem der großen Versprechen, für die der Kampfsport bekannt ist.

Digitales Lernen in den Kampfkünsten

Nach Santos waren traditionell Fernlernkonzepte nicht die übliche Lehrmethode für die Kampfkünste, da die körperliche Interaktion ein relevanter Aspekt des (Selbstverteidigungs-)Trainings ist. Mit der Pandemie wurde es jedoch notwendig, auch in diesem Bereich zu versuchen, sich an das digitale Lernen anzupassen. Wie Kantzara und Loos feststellen und im Rahmen des Aikido-Unterrichts erfolgreich umgesetzt haben, sind zwischenmenschliche Netzwerke ein wesentlicher Bestandteil aller kommunikationsbezogenen Aspekte im Rahmen des digital unterstützten Lehrens und Lernens in den Kampfkünsten. Sie gehen von der Annahme des Soziologen Durkheim aus, der in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren die Bedeutung der Aufrechterhaltung sozialer Bindungen, genauer gesagt von »Bindung« oder »Engagement«, für den (sozialen) Zusammenhalt betonte. Voraussetzung dafür ist natürlich eine adäquate Kommunikation, und Kantzara und Loos haben sich bei der Übertragung ihres Unterrichts von der persönlichen, analogen Vermittlung ihrer Kunst in die digitale Welt eng an Durkheims Ansatz orientiert. Ihre Lösung, die auf der oben beschriebenen Vielzahl von Kommunikationsmitteln basiert, steht sicherlich auf einem anderen (digitalen) Fundament als das, was Durkheim im Sinn hatte. Ihre Kombination aus der Nutzung der sozialen Netzwerke, Online-Unterricht (per Videokonferenz) sowie anderen kommunikativen Methoden, je nach den jeweiligen Bedürfnissen, entsprach Durkheims These, dass sich die Individuen frei durch verschiedene (in diesem Fall virtuelle) Kreise und Beziehungsnetze bewegen können müssen. Es muss möglich sein, je nach Bedarf von der Kleingruppe zur Gesamtgruppe zu wechseln. Nur so kann der Einzelne die der jeweiligen Lernsituation angemessenen unterstützenden Bindungen und Erfahrungen nutzen, die sowohl ihn als auch die Menschen in seinem Lernumfeld beeinflussen. Andere haben ähnliche kreative Ansätze verfolgt und ihre Arbeit auch an Konstrukten ausgerichtet, die Kommunikation und Feedback fördern, wie z. B. ein »flipped classroom«-Modell (bei dem das, was traditionell im Klassenzimmer gemacht wird, zu Hause gemacht wird und umgekehrt), gekoppelt mit einer Maximierung der Interaktionen zwischen Lehrern, Schülern und ihrer Umgebung. Darüber hinaus wurde für die Videoinhalte, die in den von Haqiyah et al. beschriebenen Online-Bildungsmodulen präsentiert werden, eine automatisierte biomechanische Analyse implementiert, um den Schülern einen besseren Einblick in die Bewegungen zu geben, die sie lernen sollten. Sowohl Kantzara und Loos als auch Haqiyah scheinen mit ihren kreativen Ansätzen für das digitale Lernen die Idee zu unterstützen, dass solche Ansätze ein gültiges und hilfreiches Instrument in der Pandemie und darüber hinaus sind.

Fokus auf Kommunikation

Der Schlüssel zu besseren Leistungen, unabhängig vom betrachteten Fachbereich, liegt in der Kommunikation. Argyris vermutet jedoch, dass viele der (zumindest in der Geschäftswelt) üblichen Instrumente zur Bedarfsermittlung und Kommunikation in Lernkontexten (wie Fokusgruppen, Umfragen und dergleichen) den Lernerfolg eher behindern als fördern. Sie würden den Ist-Zustand zementieren, ohne die Lernenden aktiv in den Lernprozess einzubeziehen, wie es angemessen wäre. Am anderen Ende des Spektrums hebt Marchi in ihrem Beitrag über partizipatives und wertschätzendes Lernen für erwachsene Lernende integrative Ansätze hervor, die auf Reflexion und Veränderung im Lernprozess basieren. Genauer gesagt, auf der Grundlage der PAAR (Appreciative Inquiry (AI) und Participatory Action Research (PAR)), kennzeichnen vier wichtige Veränderungen den skizzierten Ansatz im Gegensatz zu anderen: Statt auf Defizite zu zielen, werden die (vorhandenen) Stärken in den Vordergrund gestellt; Lernen auf individueller Ebene wird durch kollektives Lernen in der Gruppe ersetzt, und statt eines engen Fokus auf Details werden die Lerninhalte pluralistisch betrachtet. All diese Dinge haben Kantzara und Loos im Prinzip auch in ihrem Online-Unterricht umgesetzt. Dies hebt sich durch den hier gelebten kommunikativen und wertschätzenden Charakter wohltuend von vielen anderen Lernangeboten ab (die zumindest anfangs durch den Notfallmodus in der Umsetzung behindert wurden).

Reflexion

Das Beispiel von Kantzara und Loos beschreibt die Anstrengungen, die die Autorinnen unternommen haben, um den Lernprozess ihrer Schüler unter den Einschränkungen der Pandemiebedingungen in den Jahren 2020 und 2021 fortzusetzen. Die Autorinnen gehen vor allem auf die Bedingungen des Lockdowns ein, der das körperliche Training innerhalb einer Gruppe einschränkte oder ganz verbot. Das Risiko, sich mit SARS-CoV zu infizieren war für die nicht Geimpften insbesondere in der ersten Phase der Pandemie zu hoch.

Es war einfach unmöglich, das körperliche Training verantwortungsvoll durchzuführen. Als Alternative nutzten die Autoren in großem Umfang die Informationstechnologie, um nicht nur Online-Schulungsmöglichkeiten zu schaffen. Außerdem bauten sie ein starkes Kommunikationsnetz auf, um die Kommunikation zwischen den Ausübenden ihrer Kampfkunst aufrechtzuerhalten. Mit dem Fortschreiten ihrer Bemühungen passten sie die Lernstrategie an die Umstände und Bedürfnisse an, die sich aus der Krise ergaben. Ihr Fokus innerhalb ihres Trainingskonzepts veränderte sich von dem zuvor überwiegend körperlichen zu dem geistigen und spirituellen Aspekt der Kampfkunst. Das Lehren von Selbstverteidigung erhielt damit unwillkürlich eine neue Konnotation: Der neue Fokus lag auf der Verbesserung der Widerstandsfähigkeit, um den pandemischen Begleiterscheinungen von Angst, Isolation, Frustration und Unsicherheit über die Zukunft zu widerstehen. Die körperlichen Aspekte konzentrierten sich mehr auf die Aufrechterhaltung eines bestimmten Niveaus an Fitness und technischen Fertigkeiten. Die Autoren stellen fest, dass » die Möglichkeit, online zu unterrichten und mit den Schülern in Kontakt zu treten, einen symbolischen Wert der Teilnahme hatte, der größer war als die Vermittlung der Technik selbst.« (Kantzara und Loos). Die Autorinnen beschreiben den primären Wert der Kurse für die Studierenden als das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, und den Dienst der Vermittlung von Ideen auf höherem Niveau. Die Autoren fassen ihre Mission wie folgt zusammen: »Wir verbinden und kümmern uns um unsere Gruppenmitglieder, und diese wiederum helfen, ihre Familien und/oder Freunde zu unterstützen«. Ein Auftrag, der nicht nur unter pandemischen Umständen, sondern unter allen Umständen erfüllt werden sollte.

Quellen

Argyris, C. (1994). Good communication that blocks learning. Harvard Business Review, 72(4), 77–85.
http://6-30partners.com/wp-content/uploads/2015/12/Chris-Argyris-Good-Communication-that-Blocks-
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Dohsten, J., Barker-Ruchti, N., and Lindgren, E.-C. (2020). Caring as sustainable coaching in elite athletics:
benefits and challenges. Sports Coaching Review, 9(1), 48–70.
https://doi.org/10.1080/21640629.2018.1558896

Dos Santos, L. M. (2021). The Motivation and Reasons behind Taking Distance-based Taekwondo Martial
Arts Lessons: Social Cognitive Career Perspectives from Parents. CSEDU (1), 262–269.
https://www.scitepress.org/Papers/2021/103854/103854.pdf

Durkheim, E. (1973). Moral education: A study in the theory and application of the sociology of education.
(Tr. Everett K. Wilson & Herman Schnurer). 288. https://psycnet.apa.org/fulltext/1974-11865-000.pdf

Haqiyah, A., and Others. (2021). Flipped classroom model integrated with the online learning platform and
video biomechanic analysis to enhance learning outcome of Pencak silat during the Covid-19
pandemic. Turkish Journal of Computer and Mathematics Education (TURCOMAT), 12(11),
2267–2272. https://www.turcomat.org/index.php/turkbilmat/article/view/6219

Kantzara, V. (2016). The relation of education to social cohesion. Social Cohesion and Development, 6(1).
https://doi.org/10.12681/scad.8973

Kantzara, V., and Loos, M. M. (2021). Maintaining close contact from a distance: Digital aikido training under
covid-19 conditions – reflections and lessons from an online martial arts course. Martial Arts Studies,
0(11), 32. https://doi.org/10.18573/mas.128

Marchi, S. (2011). Participatory and Appreciative Action and Reflection in Adult Learning. In Encyclopedia of
Information Communication Technologies and Adult Education Integration (pp. 723–739).
https://doi.org/10.4018/978-1-61692-906-0.ch043

Noddings, N. (2012). The caring relation in teaching. Oxford Review of Education, 38(6), 771–781.
https://doi.org/10.1080/03054985.2012.745047

Samuel, K. (2017). Creating more caring university classrooms. Meaningful Education in Times of
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https://www.brookings.edu/wp-content/uploads/2017/07/meaningful-education-times-uncertainty-essays.pdf#page=75

Footnotes

  1. 2021, das 2. Jahr der Corona-Pandemie. Dieser Aufsatz wurde unter dem Eindruck der weltumspannenden Pandemie verfasst.